Syrer und Afganen singen "Oh Tannenbaum"


"Als die Heiligabendfeier in der Pfarrscheuer geplant wurde, wohnten 17 Flüchtlinge im Kloster Denkendorf. Dann zogen 42 weitere Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan ein, sodass die Feier größer wurde als gedacht. „Es ist ein Experiment“, gab Pfarrer Rolf Noormann vor dem Fest zu. Seine Hauptsorge galt der Stimmung, doch das war unbegründet. Die mehrstündige Feier hätte nicht friedlicher sein können. Anfangs waren die Gäste etwas scheu, doch die Atmosphäre wärmte sich schnell auf.

Die Idee für die Feier hatten der Pfarrer und seiner Frau Gudrun Holtz vor etwa vier Wochen. Die beiden hatten an Weihnachten auch schon Gäste aus Korea und Indien zu Hause zu Gast. Große Unterstützung erhielten beide von Masouma Mokhtehbadi, einer gebürtigen Iranerin, und der türkischen Familie Aydin. Letztere sorgte dafür, dass ein Teil des Speiseplans türkisch war - die türkische Küche ist den Flüchtlingen eher vertraut als die schwäbische. Die Familie hatte auch einen Samowar mitgebracht, der Tee war sehr gefragt.

Von den 59 eingeladenen Flüchtlingen nahmen etwa 50 die Einladung in die Pfarrscheuer gegenüber der Klosterkirche an. Alles, was gesprochen wurde, wurde auf Arabisch und Farsi übersetzt. „Wir laden Sie ein zu einer deutschen Weihnacht“, sagte Noormann den überwiegend muslimischen Gästen. „Wir feiern Weihnachten so, wie wir es zu Hause in der Wohnung tun würden.“ Dann spielte Gudrun Holtz ein Stück auf der Flöte, schon folgte die Vorspeise mit Salat und als Salat zubereitetem Couscous.

Singen in mehreren Sprachen

Später gab es unter anderem Rindfleisch und Kartoffelgratin, es folgten eine süße Nachspeise mit Obstsalat. Letztere hatten die Flüchtlinge vorbereitet. „Es ist ein Fehler, wenn wir denken, wir müssen ständig etwas für die Flüchtlinge tun“, sagte Noormann. „Wir sollten zusammen etwas machen.“ Gesungen wurde in vielen Sprachen, auf Deutsch die Weihnachtslieder „Tochter Zion“ und „O Tannenbaum“ . Gudrun Holtz erklärte den Flüchtlingen, wie das mit der Liebe der Deutschen zum Weihnachtsbaum ist. Die arabischen und afghanischen Lieder waren auf dem Liedblatt in lateinischer Schrift notiert und teils mit englischer Übersetzung versehen. Die Flüchtlinge sangen sie in einer kleinen Gruppe oder auch als Solo. Ein mutiger junger Solist aus Afghanistan spielte sich die Melodie vom Handy aus über Kopfhörer zu.

Die Handys waren auch sonst sehr gefragt, ständig wurde das Essen fotografiert oder wurden Selfies aufgenommen. „Senden Sie das Foto an jemanden?“ „Ja, an meine Familie in Syrien“, antwortete der junge Mann gegenüber. Später saß dort eine eine türkische Frau, deren Familie auch griechische Wurzeln hat. „Dass das griechische und türkische Volk sich nicht verstehen, wie immer behauptet wird, stimmt gar nicht. Das sind bloß die Politiker.“

Süß-salzige Sonnenblumenkerne gab es in kleinen Schüsseln zum Knabbern. Wie man sie isst, zeigte ein Flüchtling: Man steckt die Spitze der Schale zwischen die Zähne und dreht, schon kommt der Kern heraus. Den Tee konnte jeder selbst dosieren - in der Kanne auf dem Samowar war der starke Tee, darunter heißes Wasser. Ob türkischer Mocca stark ist oder nicht, darüber gab es keinen Konsens.

Zum Heiligabend gehören auch Geschenke. Der Betreuungskreis Flüchtlinge hatte liebevoll für jeden Gast ein Duschgel, ein Deo und etwas weihnachtliche Dekoration hergerichtet. Über sein Spendenkonto wurde das Essen finanziert.

Vorbildlich war, wie alle hinterher beim Aufräumen halfen - das hätte Schwiegermutters Traum nicht besser gekonnt. Nur die Hightech-Geschirrspülmaschine wollte zuerst nicht recht, was aber an der Bedienung lag. Ein Anruf, die Fachfrau eilte herbei, und auch dieses Problem konnte das gelungene Experiment nicht beeinträchtigen."

Esslinger Zeitung vom 28.12.2015 (Peter Dietrich)